Ein Gebäude mit Geschichte
Ein Besuch im Schleswiger Rathaus ist eine Reise in die Vergangenheit. In dem fast 800 Jahre alten ehemaligen Kloster arbeiten heute die Mitarbeitenden der Stadtverwaltung. Klösterliches Refugium oder die Wohnzellen der Mönche des ehemaligen Franziskaner-Klosters, nach den grauen Kutten der Bettelmönche auch Graukloster genannt, sind heute Büros oder Sitzungszimmer.
Bei Ausgrabungen innerhalb des Klosters wurden mächtige Fundamente freigelegt, die älter sind als das Klostergebäude. Mit größter Wahrscheinlichkeit handelt es sich hier um Reste des Königshofes, der nach Ansicht der Historiker schon Mitte des 11. Jahrhunderts entstanden sein kann und die dänischen Könige bei ihren Aufenthalten in der Stadt beherbergte.
Zur Zeit der Klostergründung 1234 war der Königshof möglicherweise schon verfallen. Die Mönche errichteten ihre Bauten teilweise auf den Fundamenten des Vorgängerhauses.
Zwischen dem 13. und frühen 16. Jahrhundert entstand in verschiedenen Bauphasen nördlich des klassizistischen Rathaustraktes eine Anlage mit drei zweigeschossigen backsteinernen Flügeln über H-förmigem Grundriss mit einem Innenhof. Die Klosterkirche St. Paul bildete einst den südlichen, vierten Flügel der Anlage.
Der mittelalterliche Restbestand des Komplexes repräsentiert die am vollständigsten erhaltene Anlage eines Franziskaner-Klosters auf dem Boden des dänischen Altreiches. Bei Umbau- und Restaurierungsarbeiten im Jahre 1983 wurden die westliche Eingangshalle und große Teile des Kreuzgangs wieder hergestellt.
Besonders sehenswert ist der in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstandene Saalbau im Nordosten der Anlage. Beim Umbau traten hier umfangreiche Reste mittelalterlicher Wandmalereien zutage, von denen eine raumbeherrschende Kreuzigungsgruppe (Ende 13. Jahrhundert) in der Art eines Tafelbildes beeindruckt. Unter dem Gotischen Saal befinden sich Reste einer Hypocaustheizung (Unterbodenheizung), die von außen zugänglich ist. Nach der Reformation wandelte sich der Charakter des Grauklosters: Es ging in den Besitz der Stadt über und die Klausurgebäude nahmen nun eine Armenstiftung auf.
Durch diese neue Nutzung erfuhr das Innere der einzelnen Flügel viele bauliche Veränderungen, um Platz für Kleinwohnungen zu schaffen. Jedem Einwohner standen zwei Räume zu: eine Küche mit offenem Kamin und ein Wohn- und Schlafzimmer. Eine solche Wohnung kann heute noch im Obergeschoss besichtigt werden. Nach 1530 baute man gleichzeitig auch die Klosterkirche um, den südlichen Abschnitt des Gebäudekomplexes. Die Kirche St. Paul diente fortan als Rathaus und spielte bis zu ihrem Abbruch 1793 eine zentrale Rolle im öffentlichen Leben der Stadt. Der klassizistische Rathausneubau wurde 1794/95 im Wesentlichen auf den Fundamenten der Klosterkirche errichtet. Der markanteste Raum ist hier der durch zwei Geschosse reichende Ständesaal mit seinem perspektivisch ausgemalten Spiegelgewölbe. Dort tagten von 1836 bis 1846 die Ständeversammlungen des Herzogtums, in denen die bis dahin weitgehend latente deutschdänische Frage aufbrach – ein nationaler Konflikt, der 1867 schließlich zur Eingliederung des Herzogtums Schleswig in den preußischen Staat führte. Heute wird der Ständesaal in erster Linie für die Ratsversammlungen der Stadt genutzt.